Fresh in Flensburg #19: Etwas Negativ

Unsere Corona-Infektionen sind überstanden: jeweils 4 Nächte mit Fieber und dazwischen Tage, die typisch sind für heftige Erkältungen, und welche uns dann auch nach dem abschliessenden negativen Test noch eine gute Woche erhalten blieben. Alles in Allem fühlte es sich an wie eine g’scheite Grippe, nicht mehr und nicht weniger. Mein Verstand sagt mir, dass die bisherigen vier COVID-Impfungen eine gute Idee waren. Danke, Medizin!

Wenn möglich, je nach Tagesverfassung, habe ich auch in der Krankheitszeit meine Runden durch die Hood gedreht. Isolieren kann ich mich auch an der frischen Luft, mit gesundem Abstand zu anderen Menschen. Meine Eltern waren in der Stadt, und auch wenn wir uns nicht umarmen oder ihnen unsere Wohnung zeigen konnten — dank Sonnenwetter mit steifem Wind waren wenigstens ein paar Spaziergänge und Gespräche drin. 🎉

Langsam macht sich der Herbst an der Förde breit, und das sonnige Sommerwetter wird immer öfter unterbrochen von kurzen Schauern. (Mir scheint, das Venn-Diagramm “Jahreszeiten an der dänischen Grenze” hat nur sehr knappe Überschneidungen, und die Übergangszeiten bemessen sich in Stunden. 😉) Unser erster Herbst hier oben! Aufregend.

Die Ostsee hat ja weder Ebbe noch Flut, was ich sehr schätze. (Meere wie die Nordsee werben zwar damit, die “echte See” zu sein, aber was bekommt man dort wirklich? Die Hälfte der Zeit gibt es nur die Hälfte vom Meer — und niemand hinterfragt diesen etwas zweifelhaften Arbeitsethos? C’mon.) Aber: starker Westwind kann das Wasser aus der Förde in die Ostsee schieben, was zu leeren Hafenbecken1 oder auch zu trockengelegten Stränden führen kann. Letzteres passiert gerade in der stürmischen Saison des Öfteren. Als ich das das erste Mal unvorbereitet sah, hat es mich ziemlich verwirrt.

Erste Vermutung: der Zar hat russische Militärkampftrinker nach St. Petersburg geordert, damit sie die Ostsee strategisch leerschlürfen. Aber nope: nur das Wetter. Und auch wenn ich weiß, dass die Solitüde-Strandabschnitte sehr flach sind — ich finde das Zusammenspiel der Naturgewalten beeindruckend: Der Wind drückt über Stunden hinweg gigantische Wassermengen aus der Förde hinaus und sorgt für einen 10-15cm niedrigeren Wasserstand. 🤯

Foto vom Fördestrand, links ohne und rechts mit Markierungen des üblichen Wasserstands
Foto vom Strandbad Solitüde, links ohne und rechts mit Markierungen des üblichen Wasserstands

Aber der Anblick macht mich an manchen Tagen auch etwas traurig, weiß ich doch, dass sich all das rapide verändert. Studien prognostizieren aufgrund der hausgemachten Grönland-Eisschmelze einen Anstieg des Meeresspiegels von 27 bis 78cm bis 21002, hinzu kommt das Abschmelzen des ostantarktischen Eisschildes, welches einen Anstieg von ~5m bis 2300 ausmachen wird.3 Selbst wenn wir heute unseren CO2-Ausstoß einfrieren könnten, die Veränderung auf planetarer Ebene ist schon in vollem Gange.

Und so ziehe ich im Kopf sehr oft schon die Wasserlinie neu, wenn ich am Ufer entlang laufe. Auch, wenn ich das eigentlich gar nicht möchte; aber es ist, wie es ist, sagt mein gelernter Gleichmut.

Tja, stürmische Gedanken an herbstlichen Tagen. Was die Klimakrise tatsächlich bewirkt, das habe ich erst wirklich verstanden, als ich nicht mehr in einer Großstadt wohnte. Ich mag Großstädte, sie haben oft viel zu bieten, aber sie nehmen uns auch den dauerhaften direkten Bezug zur Natur. Okay, ja, die Sommer werden überall heißer — aber komplett ausgetrocknete Böden und Wälder bleiben ein abstraktes Konzept, wenn um Dich herum weder Gärten noch wilde Baumbestände zu finden sind; steigende Meeresspiegel bleiben Theorie, wenn das Meer nicht zu Deinem täglichen Leben gehört usw.

Puh.

Trotzdem: nicht verzagen, nicht aufgeben. ✊🏼 Ich bin mir sicher, dass die Förde auch mit mehr Wasser toll sein wird.

Abschliessender medizinischer Tipp, weil ich es auch vor ein paar Tagen erst wieder gemacht habe: geht zur Apotheke und lasst einen Vitamin D-Test durchführen. (Das kostet so um die 30€.) Vitamin D ist ein Hormon, welches vom Körper primär über die Haut bei Sonneneinstrahlung gebildet wird, und sich ganz entscheidend auf die Stimmung auswirkt. Gerade in der kälteren und dunkleren Jahreszeit sind bei vielen Menschen die Vitamin D-Level sehr gering, was zu Schwermut bis hin zu Depression führen kann. In der Apotheke gibt’s bei einem solchen Test i.d.R. auch eine Beratung, ob und wie man die körpereigene Vitamin D-Versorgung aufpäppeln kann. Diese Art von Lebensqualität ist relativ einfach zu haben. 👍🏼


Dieser Post ist Teil meines “Fresh in Flensburg”-Newsletters. Ab Mitte April 2022 schreibe ich für knapp 6 Monate jede Woche eine Mail mit Eindrücken, Erlebnissen und vielleicht auch Fotos zu und aus “meiner” neuen Stadt. Ausgabe #25 wird das Staffelfinale.

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  1. foerde.news: “Sturmtief Mirella pustet Wasser aus dem Hafenbecken”↩︎

  2. Deutschlandfunk: “Gletscherschwund auf Grönland: Forscher korrigieren Prognose für Meeresspiegelanstieg nach oben” ↩︎

  3. FAZ: “Der sensible Eispanzer der Antarktis”. Die FAZ schreibt “Würde das in Paris vereinbarte Zwei-Grad-Ziel nicht erreicht, könnten erhebliche Teile der Ostantarktis schmelzen” — ich bin mir sicher, der Konjunktiv ist fehl am Platz. ↩︎

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Carlo Zottmann @czottmann