Fresh in Flensburg #1

Flensburg also.

Der Wunsch, irgendwann vielleicht einmal im Hohen Norden der Republik zu wohnen, in Nähe des Meers, den hatte D schon, als wir uns kennenlernten, glaube ich. Jahreszahlen begannen damals mit “1”, ich fuhr einen halbwegs neuen Golf II, und mangelnde Lebenserfahrung glichen wir mit diesem freshen Dreisatz aus Hotness, Blauäugigkeit und dynamischem Auftreten aus, den man nur mit Anfang 20 erfolgreich hinbekommt.

Hafenspitze Flensburg
Hafenspitze Flensburg Die Hafenspitze wurde von der Flensburger Bürgerschaft im Jahr 1698 so benannt, weil sie den Hafen ziemlich spitze fand. (Qualitätswitz!)

Die Küste lockte mit Urlaubserinnerungen: mit der Gewissheit, dass dort definitiv auf jeden Fall selbstverständlich immer die Sonne scheint; mit dem fest im Kopf verankerten Gefühl von Sand in Unterwäsche und unter den Füßen; mit den Flashbacks an diesen Moment als Teenager, in dem ich begriff, dass das Meer, auf das ich blickte, schon immer da war und in seiner Unermesslichkeit alles überdauern wird, resultierend in einem tiefen Gefühl von Ehrfurcht. (Dass zwei dieser drei “Wahrheiten” lediglich darauf beruhten, dass ich immer nur in Sommermonaten dort war — geschenkt.)

Die Ostsee war immer dieser Ort, den man im Urlaub sieht und geniesst, um dann den Rest des Jahres diesen zwei, drei Wochen nachzuschmachten und dem nächsten Trip entgegenzufiebern. Diesen Status Quo ernsthaft zu hinterfragen, das war mir ein zu hoher emotionaler Aufwand.

Ausserdem: war ich nicht erst vor Kurzem nach München gezogen? (1998.) Und diese Stadt war doch rundum großartig, warum sollte ich ihr den Rücken kehren? (Zu viele saudumm große Autos. Die Söder’sche Kreativität beim “Dagegen”. Zu viel NIMBY1. Mietpreise, nur noch angemessen für Erben aus Familiendynastien. Charme-Komprimierung durch aggressive Flächen-Verdichtung in allen Stadtvierteln.)

Aber München war gut zu mir! Extrem gut, um ehrlich zu sein. Mit Arbeitswillen und Offenheit und einer anständigen Portion Glück konnten wir uns Ein Gutes Leben™ aufbauen. Minijobs wurden zu Jobs, wurden zu Selbständigkeit, wurde zu einem Startup plus Shutdown, gefolgt von mehr Freelancing, und dann etwas Großem. Ich fand Freunde. In München befand sich nicht nur mein Heim, es war meine Heimat.

Dann kam die Pandemie mit ihren Lockdowns und diesem omnipräsenten Gefühl von Angst um die Meinen und um mich; viel zu viel Arbeit im Namen von Umweltschutz und Müllvermeidung; später ein Burnout mit gerade noch abgewendetem Crash, und Auszeit mit Luft zum Nachdenken und Abwägen. Und mit vielen Gesprächen, an deren Ende einige große Entscheidungen standen. Eine davon: D und ich werden demnächst vor Ort dauerhaft unsere Vermutungen und Gewissheiten über den Norden überprüfen, und schauen, wohin der Wind uns treibt. Flensburg ist dafür mindestens eine wirklich hübsche, sehr gute erste Station.

Bin gespannt, was mich und uns erwartet. In einem Monat kommt der Umzugswagen. Let’s do this! 🎉


Dieser Post ist Teil meines “Fresh in Flensburg”-Newsletters. Ab Mitte April 2022 schreibe ich für knapp 6 Monate jede Woche eine Mail mit Eindrücken, Erlebnissen und vielleicht auch Fotos zu und aus “meiner” neuen Stadt. Ausgabe #25 wird das Staffelfinale.

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  1. Akronym für “Not in my back yard” (“nicht in meinem Hinterhof”), bekannt auch als das berühmte “Thema X ist total wichtig, aber doch bitte nicht hier". Siehe auch: Energiewende, Windparks, Verkehrswende, Naturschutz, soziales Wirtschaften, gesellschaftliche Teilhabe für alle, Benzinpreise. ↩︎

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Carlo Zottmann @czottmann