Arbeiten am und Warten auf den nächsten Schritt.
Ich bin Transhumanist. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns in unserer Evolution an der Schwelle zu einer veränderten menschlichen Form befinden, dass der “reine” Mensch, also das, was wir jetzt dank natürlicher Auslese sind, nicht mehr lange in dieser Form existieren wird – und dass das nichts ist, vor dem man sich fürchten muss. Diese Überzeugung basiert auf Vertrauen in unsere Spezies, ihre Vernunft, ihren Verstand, ihre Technologie und die Wissenschaft. Ich glaube an die Evolution, und eine (langfristig) bessere Zukunft für die Menschheit. Aber, und das ist ein Punkt, über den man vorzüglich diskutieren kann: ich unterscheide nicht zwischen sog. “natürlicher” Evolution und Technologie.
Einige meiner Bekannten bezeichnen mich als technikgläubig, aber ich persönlich finde den Begriff “Technologie-enthusiastischer Humanist” passender. Technologie in sich beinhaltet kein Heilsversprechen, sie ist lediglich Mittel zum Zweck. Und dieser Zweck ist die Weiterentwicklung und der Fortbestand unserer Art.
Ich sage: Landwirtschaft, Medizin, Straßenbau, Optik, Genforschung, Raumfahrt, Mathematik, Materialwissenschaften, Biotechnologie, Robotik etc. – all das sind wir. Wir erfüllen seit je her unsere Rolle in der Evolution, indem wir sie nach und nach übernehmen.
Unsere entfernten Vorfahren, gerade aus den Bäumen gefallen und über die Savanne stolpernd, begannen irgendwann, ihre weitere Entwicklung in die eigenen Hände zu nehmen. Sie entwickelten Werkzeuge für die Jagd, Kleidung und Hütten als Schutz gegen die Naturgewalten, formten das Land, um ihre Ernährung zu sichern, domestizierten andere Lebewesen, erfanden das Rad, gründeten Siedlungen, veranstalteten das Oktoberfest und besuchten den Mond. (Liste unvollständig.) Griffen sie damit in die natürliche Evolution ein, oder waren sie lediglich Teil derselben? Und wenn all dies Teil der natürlichen Evolution ist – ist dann, was die Menschheit dieser Tage an Forschung und Entwicklung durchführt, nicht nur eine Fortführung dessen, was auch unsere Ahnen schon taten?
Ich glaube, die Technologien, die wir über die Jahrtausende hinweg entwickelt haben und noch entwickeln werden, die unser Leben, unser Wesen und unser Sein vereinfachen, verändern oder bereichern – sie sind ein integraler, durchaus natürlicher Baustein in dem großen Mosaik namens Mensch. Sie sind untrennbar mit uns als organischen Lebewesen verbunden, denn ohne all unsere Kreationen wären wir nicht, wo wir heute sind, in allen positiven wie negativen Ausprägungen.
Wir sind, wo wir sind, weil wir unsere Umwelt und uns selbst eingehend erforscht und auch geformt haben. All diejenigen unter uns, die ein “Zurück zur Natur” propagieren (was ich persönlich nicht ablehne!), würden sicher nur ungern auf z.B. ihre höhere Lebenserwartung (im Vergleich zum Jahr 1014), Zahnersatz, Brillen, Bücher und Penicillin verzichten. All diese Dinge sind direkte Folgen unseres Seins, unserer Neugier, unseres Forschergeists.
Mein Glauben nährt sich aus diesem Wissen. Wir lösen Probleme aus dem gleichen Grund, warum wir auch Berge besteigen: weil sie da sind. Wir Homo Sapiens sind Entdecker, wir sind von Neugier getrieben und selten mit dem Status Quo zufrieden. Wir schauen genau hin, gern auch zweimal. Und unsere Wahrnehmung wird – dank technologischem Fortschritt – immer schärfer. Wir schauen das an, was wir sind; wir schauen das an, was wir geschaffen haben. Und nicht wenige unter uns fragen sich, ob diese scharfe Trennung tatsächlich bestehen bleiben muss.
Wir in unserer aktuellen Version sind nicht so einfach trennbar von unseren technischen Errungenschaften. Unsere Siedlungen würden ohne Elektrizität oder Fahrzeuge kollabieren, viele Menschen wären ohne unsere medizinischen Entwicklungen nicht mehr am Leben oder zumindest gewaltig beeinträchtigt, unsere globalisierte Welt wäre ohne unsere Kommunikationswege nicht denkbar. Wir wären nicht …wir. Aber auch im Kleinen wäre vieles anders: denken wir nur mal an unser Handgehirn, pardon, das Smartphone, das so vieles für uns ist: Kommunikationsmittel, Nachschlagewerk, externalisiertes Gedächtnis, Musikplayer, Fitness-Helfer, Spielzeug, Kalender, etc. Mein Smartphone ist ein externer Teil von mir – ich gebe zu, ich fühle mich etwas nackt, wenn ich es nicht bei mir habe, und da bin ich sicher nicht der Einzige. Und diese Technologie existierte vor 10 Jahren so noch nicht, da brauchte man für all diese Facetten noch unterschiedliche Geräte, und die meisten davon waren (nach heutigem Verständnis) groß und klobig. Was wir wohl im Jahr 2024 alles haben werden?
Mit dieser Frage im Hinterkopf blicke ich auf die Biotechnologie, ein Feld, in dem derzeit sehr viel sehr schnell passiert. Mittlerweile können wir Gene punktgenau bearbeiten; wir erforschen das Hirn in nie dagewesener Tiefe; wir züchten Stammzellen aus Hautzellen, um alles Mögliche in unseren Körpern damit zu reparieren; wir beginnen, Organe und biologisches Gewebe in 3D-Druckern herzustellen; wir haben bionische Augen für Blinde und Exoskelette für Gelähmte entwickelt. Sicher, vieles davon steckt noch in den Kinderschuhen, aber vieles davon war vor 20 Jahren auch noch reine Science Fiction. Ich wäre nicht verwundert, wenn in 20 Jahren Millionen von Menschen mehr Technologie im als am Körper tragen würden. Dabei denke ich nicht an Elektronik im herkömmlichen Sinn, sondern an bionische Sensoren und Systeme, die Teil unserer Körper sind, wie auch immer sie dann aussehen mögen; an gezielte Mutationen, um Krankheiten oder Unzulänglichkeiten zu begegnen; an Nanotechnologie, die uns z.B. längere Lebensspannen beschert. Vieles davon wird zu Normalität werden, ohne wird man sich fühlen wie ohne Smartphone heute. So abwegig das jetzt auch klingen mag: erwähnte ich schon, dass die Forschungsabteilung der US-Regierung (DARPA) aktiv an Neuroprothesen zur Unterstützung des Erinnerungsvermögens arbeitet? Das passiert, jetzt gerade.
Die Menschheit entwickelt sich weiter. In dem Moment, als der erste unserer haarigen Vorfahren ein Werkzeug benutzte, übernahmen wir eine aktive Rolle in der Evolution. Wir waren und sind weiterhin stolz darauf, und sprechen von uns als “Krone der Schöpfung”.
Der Titel ist die reine Hybris, sicher. Er kann und darf uns aber nicht dazu verleiten, auf der Stelle zu verharren.