Neues aus der Zukunft #22: Die mit Telefonen, Polymeren von IBM, Solarstraßen und Google-Autos

Donnerstagmorgen sind dafür da, um langsam mal den Sonnenschutz rauszuholen und sich auf den Urlaub vorzubereiten.

In den letzten zwei Wochen wurde ich einige Male gefragt, ob ich wirklich an die These des sich beschleunigenden Wandels glaube, und ob das nicht eigentlich nur Unsinn ist?

Die kurze Antwort: ja, das tue ich, und nein, ist es nicht.

Die lange Antwort ist ein kleiner exemplarischer Geschichtsexkurs.

Als ich vor 40 Jahren auf die Welt kam, 1974, da ist Telefonieren irgendwie noch der heisse Scheiss — die Geräte haben sich zwar in den letzten Jahrzehnten kaum verändert, aber vor Kurzem wurde die Direktwahl (!) bei Telefongesprächen zwischen (West-)Europa und den USA eingeführt, und im gesamten Ostblock existieren angeblich schon nahezu 3 Dutzend Telefone! Fortschritt! Menschen schreiben sich Briefe, per Hand, die tagelang unterwegs sind.

Vor 30 Jahren, 1984, sind Telefone auch in der damaligen DDR 1 schon etwas weiter verbreitet, und im August läuft an der Universität Karlsruhe nach 2-jähriger Vorarbeit die erste für Deutschland bestimmte Email ein. Der heisse Scheiss sind Faxgeräte, von denen es in Deutschland ~14.000 Stück gibt. ( Quelle.) Menschen schreiben sich Briefe, per Hand, die tagelang unterwegs sind.

Vor 20 Jahren, 1994, sind SMS gerade der heisse Scheiss geworden, nachdem sie 1992/1993 Marktreife erlangt haben. Telefone sehen so aus, und bieten nichts ausser Telefonieren und SMS. Menschen schreiben sich Briefe, per Hand, die tagelang unterwegs sind.

Vor nur 10 Jahren, 2004, gibt es weltweit ~1 Milliarde Handynutzer, und das Internet ist auf den Schreibtischen der westlichen Bevölkerung irgendwie schon angekommen. iPhone & Co sind noch nicht erfunden; mobiles Internet ist teuer und langsam und wird auf klobigen Geräten mit Tastatur und winzigen Screens blockig in 2 Farben angezeigt. Menschen schreiben sich Briefe, per Hand, die tagelang unterwegs sind, aber nicht mehr so viele.

Und heute, 2014? Sieben Milliarden Menschen weltweit haben mobile Telefone ( Quelle). Und wenn ich meine Liebste, die derzeit ohne mich im Ausland unterwegs ist, zu sehr vermisse, hole ich mein iPhone aus der Tasche und rufe sie an — per Video. Das kostet so gut wie nichts mehr (genau wie auch Text- und Bildnachrichten), die Qualität ist der Hammer und es benötigt keine technische Expertise. Die Screens sind superhochauflösend, in Farbe (!!!), und mein Smartphone gibt mir das komplette Internet und noch viel mehr in die Hand. Und hier gehts zur Wikipedia-Seite, die für die Jüngeren das Konzept “Brief” erklärt.

Wie wird wohl 2024 aussehen? Ich weiss es nicht, aber verdammt, ich freue mich darauf.

Bis in zwei Wochen,

Carlo.


PS: Schon gehört? Die richtig coolen Kinder gefälltmiren Neues aus der Zukunft auf Facebook und stimmen beim Grimme Online Award 2014 Publikumspreis ab! Yo.


Gläserne Fahrbahnen

Die Straßen der Zukunft sind aus Glas.

Zumindest ist das die Überzeugung von Julie und Scott Brusaw, den Gründern der (winzigen) US-Firma Solar Roadways. Über die letzten paar Jahre hinweg haben die zwei, zusammen mit ihren Helfern, ein neues Konzept für Straßen im 21. Jahrhundert entwickelt. Ihre Wege bestehen nicht länger aus Asphalt, sondern aus sechseckigen Glas-Segmenten, aus denen Fahrbahnen modular zusammengeschraubt werden. Die einzelnen Module sitzen dabei auf einer Art breiten Betonschalung, dadurch ist unter ihnen Platz für Kabel, Versorgungsleitungen und abfliessendes Regenwasser. Jedes Modul besteht aus mehreren Schichten — ganz oben das ultra-widerstandsfähige Sicherheitsglas, darunter die Elektronikkomponenten mit (u.A.) LEDs und Solarzellen.

Das ermöglicht Straßen, Parkplätze und Nutzflächen, die nicht nur Fahrzeugen eine möglichst einfache Fortbewegung erlauben, sondern die auch:

  • einfallendes Sonnenlicht in Strom umwandeln — die Segmente sind Solarmodule!
  • sich selbst mit Strom versorgen, den Überschuss aber auch an andere Verbraucher (wie umliegende Häuser) abgeben können
  • dank eingebetteter LEDs wechselnde Fahrbahnmarkierungen (bei Nacht, Gefahrenhinweise, Stauwarnungen etc.) ermöglichen
  • flächendeckendere Verkehrsüberwachung erlauben
  • durch ihre modulare Bauweise einfach und schnell repariert werden können
  • sehr interessante Möglichkeiten für kommende autonome Fahrzeuge bieten, weil sie z.B. Elektroautos per Induktion während der Fahrt mit Strom versorgen könnten

Die Brusaws nutzen ihren heimischen Hof als Testobjekt. Seit 2006 tüfteln sie hier an ihren Prototypen, die einen Teil ihrer Stellfläche pflastern, und verfeinern sie kontinuierlich. Ihr System funktioniert im Kleinen, aber sie sind davon überzeugt, dass es eben auch im Großen nur Vorteile mit sich bringt, gerade auch durch die Energieerzeugung. Ihre Rechnung diesbezüglich ist beeindruckend:

Die USA verfügen derzeit über ~81.000 km² Nutzfläche (Straßen, Parkplätze, Radwege etc.). Würde man die mit ihren Panelen (230W, 18.5% Effizienz) zupflastern, und ginge man von 4 Stunden guter Sonneneinstrahlung pro Tag aus, so könnte man so im Jahr über 21.800 Milliarden kWh erzeugen. Auf Deutschland übertragen, wo es derzeit geschätzt 18.000 km² solcher Flächen gibt, würde das jährlich ~4.850 Milliarden kWh erneuerbare Energie bedeuten. (Zum Vergleich: laut AG Energiebilanzen e.V. haben wir in DE im Jahr 2013 insgesamt “nur” ~495 Milliarden kWh verbraucht.)

“Aber… Straßen aus Glas‽” Ja, keine Bange: das Spezialglas ist unglaublich bruch- und abriebfest, und jeder der hexagonalen Bausteine kann mit über 113 Tonnen Gewicht belastet werden. Und laut SR erlaubt die Oberfläche Fahrzeugen die gleiche Reibung bei Beschleunigen und Bremsen wie Asphalt, auch bei Nässe.

Was mich daran happy macht

Clevere Straßen, die Strom erzeugen? Was kann man daran nicht mögen? Sicher, die initialen Kosten wären höher als bei normalen Asphaltstraßen, was sich aber durch die fortlaufende Energieerzeugung und auch die “eingebauten” Support von Versorgungsleitungen innerhalb weniger Jahre rechnen würde. Umstellung von Kupfer- auf Glasfaserleitungen? Dafür müsste man nicht mehr die Straße aufreissen, sondern lediglich ein paar der Panele abschrauben, herausheben und danach wieder einsetzen.

Und es gibt eine Menge Menschen, die den Traum von intelligenteren Transportwegen teilen: Solar Roadways’ Crowdfunding-Kampagne auf Indiegogo, bei der das Ehepaar Brusaw um $1.000.000 gebeten hatte, um ihr Projekt voranzutreiben, steht im Moment schon bei ~$1.930.000, und läuft noch bis 20. Juni.

PS: Danke an alle unter Euch, die mir Links zur Indiegogo-Kampagne geschickt haben! :)


Superpolymere!

IBM hat eine neue Gattung von Polymeren entwickelt, die beeindruckende Eigenschaften besitzen: sehr leicht, dabei stärker als menschliche Knochen, unempfindlich gegen Lösemittel, selbstheilend, und vollständig recyclebar. Je nach Mischung können sie in elastisch, in der Form von Gel, oder auch stark und starr wie Metalle daherkommen. Diese neuen experimentellen Polymere könnten den Weg zu billigeren, leichteren und umweltverträglicheren Werkstoffen ebnen; IBM schielt auf den Einsatz in der elektronischen Industrie, Luft- und Raumfahrt sowie den Fahrzeugbau.

Moment, Selbstheilung? Selbstheilung. Wenn sich in dem Stoff z.B. durch extreme Temperaturschwankungen Risse gebildet haben oder “Verletzungen” aufgetreten sind (Schnitte etc.), dann verschließen sich diese selbständig wieder — im Stoff findet eine sog. Wasserstoffbrückenbindung zwischen Molekülen statt.

Die meisten existierenden Polymere sind oft schwer bzw. gar nicht zu recyclen — wenn sie einmal ausgehärtet sind, können sie nicht mehr in ihre Einzelteile zerlegt werden. Oft bleiben dann nur noch der Schredder oder die Müllkippe, wenn sie ausgedient haben. IBMs neue Polymere dagegen lösen sich recht einfach wieder in in ihre Bestandteile auf, wenn man sie mit einer Säure behandelt. Und die Bestandteile können dann wiederverwendet werden.

Was mich daran happy macht

Weniger Müll! Wiederverwendbarkeit!! Selbstheilung!!! Neue Werkstoffe für das Weltraumzeitalter.


Interessantes zu Googles Auto-Prototypen


Zu guter Letzt…

Letzte Woche stellte Google X die nächste Stufe ihres Projekts “Selbstfahrendes Automobil” vor: den Prototyp ihres ersten eigenen Autos, von der Bodenplatte aufwärts neu gedacht — ohne Lenkrad, ohne Pedale, dafür mit unglaublich vielen Sensoren und viel Software. Dafür geschaffen, ohne menschliches Eingreifen Personen zu befördern, und — wenn es funktioniert wie angekündigt — meiner Meinung nach das perfekte Beförderungsmittel für Großstädte.

Tolle Sache, aber nachdem u.A. auch schon die heute-Nachrichten darüber berichtet haben (Link weiter unten, wie gewohnt), will ich mich mehr auf zwei interessante Details konzentrieren.

Die interessante Frage ist doch, warum hat der vorgestellte Prototyp kein Lenkrad und keine Pedale? Nun, anfangs gingen die Entwickler noch davon aus, dass die Passagiere sich unsicher in den Fahrzeugen fühlen würden, und ggf. in die Fahrt eingreifen wollen. Das war die erste Zeit auch so, aber die Testfahrer fühlten sich schon nach wenigen Fahrten derartig wohlbehütet, dass sie sich nicht mehr auf den Verkehr konzentrierten — sie fielen als Korrektiv schlichtweg aus. Die Techniker entschieden sich deshalb für ein vollständig autonomes Fahrzeug, mit doppelter Absicherung aller Systeme, das ohne semi-passiven Fahrer auskommt. Heiter. :)

Und wie hat das Google-Team die ganze Technik in die Fahrzeuge bekommen? Tja: hat es eigentlich gar nicht. Sicher, die Autos sind vollgestopft mit cleveren Systemen. Aber ohne das vor jeder Fahrt eingespeiste Kartenmaterial wären die Dinger recht hilflos. Zumal das Wort “Karte” hier eigentlich nicht aussagekräftig genug ist: Google hat das Einsatzgebiet des Prototypen nahezu zentimetergenau digital abgebildet und mit massig Extradaten aufgebohrt — wie Kurvenradii an Kreuzungen, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Höhe der Verkehrsschilder usw.. Mit diesen Informationen zu den ~3.200 km Straße in ihrem Heimatgefilden können die Prototypen wesentlich einfacher agieren. Aufwändig? Sicher. Clever? Definitiv!

Allerdings bedeutet es halt auch, dass man die Fahrzeuge nicht einfach in Austin, Texas, oder Goatfuck, Indiana, absetzen kann und garantiert ist, dass sie dort problemlos funktionieren. Aber irgendwo muss man ja anfangen…

Was mich daran happy macht

Je mehr ich über dieses Projekt erfahre, desto beeindruckter bin ich. Es bringt viele verschiedene Disziplinen zusammen: Robotik, Kartografie, die digitale Abbildung von Verkehrswegen, Automobilbau, virtuelle Intelligenz, Lobbyarbeit… wow.

Bis jetzt haben sie ~3.200 km für das Projekt erfasst und kartografiert. Das US-Straßennetz hat insgesamt aber 4 mio km, was Projektchef Chris Urmson lediglich so kommentiert: “Es ist Arbeit, ja, aber es ist keine einschüchternde Arbeit.”

Ich finds toll, dass es solche Menschen gibt. Godspeed, you fancy bastards. ;)

Klimawandel? Hirngespinst! Erderwärmung? Da muss man was machen! — Die US-Uni Yale hat eine Umfrage unter US-Bürgern durchgeführt, in der sie Leute zu den Themen Klimawandel ( “climate change”) bzw. Erderwärmung ( “global warming”) befragten. Beim Begriff “Klimawandel” waren die Befragten skeptisch bis ablehnend, die “Erderwärmung” jedoch sahen sie eher als ein echtes Problem an. Und das, obwohl beide Begriffe eigentlich aufs Gleiche hinauslaufen. Aber hey, sie denken darüber nach. Und wenn jetzt selbst der ultrakonservative Sender FOX News nach Jahren des Blockens (etwas) einlenkt und die Erderwärmung als “Fakt” bezeichnet, dann sind die USA ja eventuell doch noch in der nahen Zukunft noch für Gegenmaßnahmen zu begeistern. Die Hoffnung stirbt zuletzt!


Deutschland ist in Sachen Innovation besser als sein Ruf — Auch solche Themen machen mich fröhlich (danke, D64 Ticker!):

Amerika schaut neidisch über den großen Teich: In vielen Schlüsselbranchen ist Deutschland deutlich innovativer als die selbsternannten und vor allem finanzstarken Technologie-Vorreiter. Näheres ist im Blog des renommierten Harvard Business Review zu lesen.


Roboter, die das Fangen lernen — Wenn mir jemand einen Gegenstand zuwirft, besteht eine recht hohe Chance, dass ich ihn fangen kann, weil ich das über Jahre hinweg gelernt habe. Nein, falsch: mein Hirn hat gelernt, auf mich zufliegende Objekte zu erkennen, Flugbahn, Rotation und Wahrscheinlichkeit einzuschätzen, und meinen Körper zu veranlassen, erfolgreich mit den Armen zu rudern, damit sie zur rechten Zeit am rechten Ort sind (zumindest meistens). Genau das bringen Forscher in der Schweiz derzeit einem robotischen System im Labor bei: sehen, verstehen, greifen/fangen, daraus lernen. Beeindruckendes Video!


Neuer Mini-Empfänger wandelt elektromagnetische Strahlung im Körper in Strom um — Motherboard: “Forscher von der Universität Stanford haben die vielleicht letzte Hürde für die praktikable Stromversorgung von Implantaten genommen. Das ‘Midfield Powering’ genannte Verfahren dürfte insbesondere für DIY-Cyborgs und Körperaufrüster, aber auch für die Medizin interessant sein.” Der Empfänger ist groß wie ein Reiskorn und wandelt drahtlos übertragene Energie in Saft für Implantate etc. um.


  1. Kids, fragt Eure Eltern oder Wikipedia oder einen zufällig ausgewählten Pensionär Eures Vertrauens. ↩︎

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Carlo Zottmann @czottmann