Neues aus der Zukunft #21: Die mit der Grimme-Nominierung, 1-Cent-Mikroskop, Sonnen-Kerosin und DEKA-Arm

Donnerstagmorgen sind dafür da, um sich…

  1. nach dem Aufzuwachen zu fragen, ob man mit 40 jetzt ein Drittel, ein Viertel oder erst ein Fünftel des Lebens hinter sich hat. Hmm!
  2. über die Nominierung für den Grimme Online Award 2014 zu freuen. Yay!

Mehr zu Punkt 2 habe ich weiter unten notiert, und ja, das ist auch der Grund, warum die heutige Ausgabe etwas kürzer geraten ist.

Habt eine schöne Woche, geniesst die Sonne und denkt mal fröhlich an die ganzen Solaranlagen, die gerade überall im Land auf Hochtouren Energie produzieren, ohne Dreck zu machen und strahlenden Müll zu erzeugen. Technologie! <3 1

Bis in zwei Wochen,

Carlo.


Smartphone-Mikroskope für alle

Revolutionen können auch im Kleinen passieren — in mehrerlei Hinsicht. Wissenschaftler in Australien haben eine einfache, aberwitzig billige und trotzdem sehr leistungsfähige Möglichkeit entwickelt, um aus jedem Smartphone bei Bedarf ein Mikroskop mit 160-facher Vergrößerung (bei einer Auflösung von 4 µm) zu machen. Sie basiert auf einem transparenten, flüssigen Polymer, das auf einen Glasträger aufgebracht wird und dort aushärtet. Nach und nach wird der Tropfen um zusätzliche Schichten erweitert, was die Stärke der Linse erhöht. Diese wird dann auf die Kamera eines Smartphones gepappt — voilá: Mikroskop.

Anwendungsmöglichkeiten finden sich dafür u.A. in der Landwirtschaft (Schädlinge und Pilzbefall bei Pflanzen lassen sich schneller analysieren, wenn der Bauer nur ein Bild machen muss, und dieses online an Experten schicken kann) oder auch der Tele-Dermatologie (gleiches Prinzip, Bauer optional).

Was mich daran happy macht

Fortschritt kommt oft auch auf leisen Sohlen daher. Es sind halt nicht immer nur die Multimilliarden-Dollar-Projekte, die die Welt verändern werden — bei industrieller Fertigung lägen die Kosten pro Linse bei weniger als 1 Cent! Aber das Konzept ist tatsächlich so simpel, dass es extrem kostengünstig auch daheim oder in weniger entwickelten Gegenden der Erde umgesetzt werden kann.


Kerosin aus Sonnenenergie

Das von der EU geförderte Projekt SOLAR-JET 2 hat es sich zum Ziel gesetzt, synthetisiertes Kerosin aus Sonnenenergie zu produzieren. Ende April vermeldete das Projekt einen großen Teilerfolg:

Der gesamte Produktionsprozess für erneuerbaren Kraftstoff aus Sonnenlicht, Wasser und Kohlendioxid (CO2) wurde erstmals erfolgreich durchlaufen. Darüber hinaus hat dieser Produktionsprozess das Potenzial, dass auch andere Kraftstoffarten wie Diesel, Benzin oder reiner Wasserstoff damit nachhaltig hergestellt werden könnten.

[…] Das Projekt SOLAR-JET entwickelte einen innovativen Prozess, bei dem konzentriertes Sonnenlicht CO2 und Wasser zu einem sogenannten Synthesegas umwandelt. Dies wird mittels einer Redoxreaktion von Metalloxiden bei hohen Temperaturen erreicht. Das Synthesegas, eine Mischung aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid, wird abschließend mit Hilfe des bereits am Markt etablierten Fischer-Tropsch-Verfahrens in Kerosin umgewandelt.

Die Chemiker des Projekts — u.A. vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, der ETH Zürich, Bauhaus Luftfahrt und Shell — haben in ihrem Testaufbau lediglich genug Kerosin produziert, um ein Einmachglas zu füllen. Ihrer Aussage nach würde ein Reaktor, der aus Solartürmen auf einer Fläche von 1 km² besteht, dann ca. 20.000 Liter pro Tag produzieren können.

Klingt toll! Aber wie so oft: dieses war lediglich der erste Streich, und der zweite folgt sogleich … bzw. innerhalb der nächsten vier Jahre, in denen die SOLAR-JET-Gruppe die Synthesegas-Produktion in einem von Sonnenlicht gespeisten 50 kW-Reaktor demonstrieren will.

Was mich daran happy macht

Kraftstoff wird verbrannt und erzeugt CO2, das dann mit Sonnenlicht und Wasser wieder in Kraftstoff umgewandelt werden kann. It’s the circle of drive! Faszinierend.

Schön finde ich auch, dass es ein EU-gefördertes Forschungsprojekt ist. Die EU ist eben doch nicht so unnütz, wie gern behauptet wird. :)


Nominiert für den Grimme Online Award 2014!

Gestern durfte ich die etwas bizarre, aber durchaus tolle Einmal-im-Leben-Erfahrung machen, der Nominierungsveranstaltung für den diesjährigen Grimme Online Award beizuwohnen — als einer der Nominierten. Ja, mein kleiner Newsletter hier ist tatsächlich im Rennen um den GOA 2014, in der Kategorie “Information”. 3

Und so war ich dann mit meiner Liebsten gestern auf der offiziellen Nominierungsveranstaltung in Köln, um bei ziemlich guten Keksen den Grimme-Leuten zu lauschen, wie sie zwischen all den interessanten (und teilweise auch wirklich wichtigen!) nominierten Projekten meinen Namen nannten. Wie ich schon sagte: etwas bizarr. Es gab Videointerviews und Screenshots und Vorstellungen und alles! An einem Punkt wurde mir ein Mikro in die Hand gedrückt und ich durfte über die Idee hinter NadZ und den Recherche-Prozess etc. erzählen, und ich habe mich offenbar nicht blamiert, obschon gelacht wurde. 4

Zusammengefasst: Neues aus der Zukunft wurde mit 22 weiteren Projekten vom Nominierungskommission des Grimme Institut aus über 1350 eingereichten Vorschlägen herausgepickt — nach Durchsicht aller dieser Sites. Ich bin zu gleichen Teilen hocherfreut, stolz und immer noch verwirrt; und ich rechne mir nach einem Blick auf die “Konkurrenz” in meiner Kategorie keinerlei Chancen aus. Aber das ist schon okay, wenn sich dadurch die geschätzte Leserschaft vergrößert. :) Und: NadZ ist der erste Newsletter überhaupt, der je nominiert wurde.

Wie gehts jetzt weiter? Nun, ich vermute, die Jury zieht sich auf den höchsten Berg Deutschlands zurück, um in kontemplativer Abgeschiedenheit und/oder im Rahmen eines Deathmatches über die Gewinner in jeder Kategorie zu entscheiden. 5 Die Ergebnisse werden dann am 27. Juni bekanntgegeben; bis dahin kann zusätzlich jeder Interwebsnutzer online ihre/seine Stimme für den Publikumspreis abgeben. Ich würde mich daher freuen, wenn Ihr an dieser Abstimmung teilnehmt und für Euren Kandidaten unter den Nominierten stimmt! Und noch mehr würde ich mich freuen, wenn Eure Wahl auf mich fiele — aber kein Druck, Leute. ;)

[…]

Verdammt, mir wurde gerade klar, dass ich auf der Veranstaltung in Köln eine Wahnsinnschance auf einen Neuss aus der Zukunft”-Witz vertan habe. :/


Zu guter Letzt…

+ “Luke Arm” erhält US-Marktzulassung. Einem meiner “Lieblingsprojekte” der letzten Jahre, das Arm System von DEKA-Research, wurde von der US-Behörde FDA offiziell die Marktzulassung erteilt. 6 (Die Zulassung ist nötig, um in die industrielle Fertigung gehen zu können, und die Arme zu denen zu bringen, die sie benötigen.) Das System wiegt soviel wie ein biologischer Arm, reagiert auf Muskel- und Nervensignale des Trägers, und setzt diese in 10 mögliche Bewegungen um. Damit wird dem Träger erlaubt, alltägliche Dinge zu tun wie Reissverschlüsse zu bedienen, selbständig zu essen, und Objekte wie Weintrauben zu greifen (ohne sie zu zerdrücken) oder auch volle Wasserflaschen (ohne sie fallenzulassen). Ein absolut großartiges Projekt. Bonuslink: ein TED-Video von 2010, in dem Dean Kamen (Gründer von DEKA Research) das Projekt vorstellt und erklärt, was ihn antreibt: “The emotion behind invention” (2010) (das Video hat deutsche Untertitel, die unter “Subtitles” aufgerufen werden können).

+ Die israelische Firma SoftWheel erfindet das Rad neu. Ihre Räder kommen an Rollstühlen und Fahrrädern zum Einsatz, haben drei “Speichen” (wenn man sie noch so nennen kann), die eingebaute Stoßdämpfung besitzen. (Danke für den Link, @optikfluffel.)

+ Ein querschnittsgelähmter Mann in einem Exoskelett wird den World Cup 2014 eröffnen. Ein junger Brasilianer wird sich am 12. Juni in São Paulo aus seinem Rollstuhl erheben, unterstützt von einem robotischen Exoskelett das Feld betreten, und den Ball kicken. Die Technologie soll nach dem Willen ihrer Schöpfer eines Tages Rollstühle ersetzen, indem sie die Bewegungen ausführt, zu denen ihre Träger selbst nicht mehr fähig sind. Gesteuert wird sie durch einen mit Elektroden gespickten Helm, der die Hirnströme des Trägers ausliest und an das Skelett weiterleitet. Fun fact: ein Teil der Entwicklung kommt aus München. (Genau wie dieser Newsletter! ZOMG.)

Da ich mich nicht für diesen Sport interessiere, kann ich leider nicht sagen, ob Fussball hier auch soviel Aufmerksamkeit geniesst wie in Brasilien, und somit kann ich nur hoffen, dass diese Demonstration auch hierzulande die Aufmerksam bekommt, die es verdient.

+ Intergalactic Entrepreneurs Prepare for Blast-Off: A unique gathering of 13 companies showcases a coming year of launches: Anfang Mai trafen sich in New York Chefs und Mitarbeiter von 13 NewSpace-Firmen, um einen kleinen Einblick in ihre weiteren Pläne zu geben, Markt (und Raum) zu sondieren, und Strategien zu besprechen. Es ging um Tourismus, Satelliten, Rohstoffabbau, den Mond, Transportsysteme und -verträge, und mehr. Neu für mich: die US-Firma Space Adventures plant für das Jahr 2017 oder 2018 eine bemannte Mondumrundung für Privatpersonen, der Preis pro Passagier wird mind. $150 mio USD betragen — und sie haben schon zwei Sitze verkauft.


  1. In dem Zusammenhang möchte ich auch auf diesen Campact-Appell verweisen. ↩︎

  2. Abkürzung für “Solar chemical reactor demonstration and Optimization for Long-term Availability of Renewable JET fuel”, grob übersetzt “Demonstration und Optimierung sonnengestützter chemischer Reaktoren zur langfristigen Verfügbarkeit erneuerbarer Flugzeugtreibstoffe”, kurz …DUOSCRZLVEF. ↩︎

  3. “Der Grimme Online Award Information zeichnet herausragende Beiträge aus, die demonstrieren, wie das Internet oder Apps für aktuelle Formen des Online-Journalismus und der Informationsvermittlung, für vertiefende Analysen und Reportagen, aber auch für publizistische Kritik und Kontrolle oder publizistisch relevante Service-Leistungen eingesetzt werden können.” Mehr zum Preis. ↩︎

  4. Randnotiz: Ich kann mit derlei Aufmerksamkeit, mit Stress oder mit Verlegenheit nicht umgehen, ohne alberne Scherze zu machen. Coping mechanisms! ↩︎

  5. ¯\_(ツ)_/¯ Ich habe hier u.U. nicht ganz so viel Zeit auf die Recherche verwendet, sorry. ↩︎

  6. “Luke Arm” war die DEKA-interne Projektbezeichnung; der Name bezieht sich auf den Star-Wars-Charakter Luke Skywalker und die Prothese, die er erhielt, nachdem ihm beim sorglosen Herumtollen mit dem Laserschwert die Hand abgefallen war. (Teenager, ey!) ↩︎

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Carlo Zottmann @czottmann