Neues aus der Zukunft #18: Die mit Solarzellendisplays, lebendigen Materialien, Infrarotkontaktlinsen, Gentherapie und Plastikschädel

Donnerstagmorgen sind dafür da, um sich über den 100. Tag des Jahres zu freuen.

Die letzten zwei Wochen sahen mehr coole Meldungen, als ich in dieser Ausgabe unterbringen konnte. Eine der schönsten, weil vernünftigsten News kam aus Brüssel, wo das EU-Parlament klar für die Durchsetzung der Netzneutralität gestimmt hat1. Das klingt jetzt erst einmal sehr trocken und wenig greifbar, hat aber große Auswirkungen darauf, wie sich das Netz für uns alle in den kommenden Jahren weiterentwickeln wird, und hat mich optimistisch und sehr happy gemacht. Daumen hoch, EU-Parlament — gute Arbeit für die Bürger, danke dafür!

In der nahen Zukunft sehe ich für mich einen Kaffee, und eventuell auch die eine oder andere Leser-Mail an mich — zwei meiner liebsten Dinge auf der Welt. ;)

—Carlo.


Solarzellendisplays

Kluge Menschen an der Nanyang Technological University in Singapur haben einen neues Material entwickelt, das auf dem Mineral Perowskit basiert, und sowohl Energie aus Sonnenlicht generieren kann, als auch selbst Licht abgeben kann, wenn es mit Strom versorgt wird.

Kurz zusammengefasst: dieses Material hat das Potential, gleichzeitig Solarzelle und Display zu sein. Öha! Ich sehe da iPads und Smartphones vor meinem geistigen Auge, die nur Licht brauchen, um sich aufzuladen. Und halbtransparente Fenster, die Strom erzeugen. Und und und…

Die Entdeckung fand durch Zufall stand: die Wissenschaftler wollten eigentlich nur ihre neue Perowskit-Solarzelle erproben, indem sie einen Laser auf sie richteten. Zu ihrer Überraschung fing das Ding dann selbst an zu leuchten — es wandelte das einfallende Licht in Energie um, und verwendete diese dann umgehend selbst für die Erzeugung von Licht. Überraschung — große Freude — Sektkorken — Pressemitteilung. Tolle G’schicht. :)

Das neue Wundermaterial ist fünfmal billger herzustellen als derzeit aktuelle Silizium-basierte Solarzellen, und einfacher noch dazu. Das Patent ist angemeldet.

Was mich daran happy macht

Ich stelle mir gerade vor, wie ich in 10 Jahren nicht mehr täglich die Akkus in meinem Handheld 2 aufladen muss, sondern es nur hin und wieder an der Sonne legen muss. Und wie die Scheiben in meinem Elektrofahrzeug die Reichweite während der Fahrt verlängern. Und Ihr so? :)


Infrarotsicht mit Kontaktlinsen

Wissenschaftler an der Universität von Michigan, USA, haben einen winzigen Lichtsensor auf Graphen-Basis entwickelt, der bei Raumtemperatur das volle Infrarotspektrum wahrnehmen kann. Der Teil mit der Raumtemperatur ist hierbei essentiell, fallen somit doch die üblichen Kühlkörper weg, die nötig sind, um das ganze Spektrum abzudecken, und bei herkömmlichen Wärmebildkameras viel Platz einnehmen. Und dank dem Einsatz von Graphen, das “von Haus aus” das komplette Infrarotspektrum erfassen kann, und cleverem Engineering ist ihre Entwicklung extrem dünn. Wie dünn? Nach Aussage der Projektleiter könnte sie in Smartphones, Geräten wie Google Glass oder auch Kontaktlinsen integriert werden. Kontaktlinsen mit Wärmebildtechnologie! WILL ICH.

Meine Güte, Graphen… Graphen kann alles. Wenn ich den einen Werkstoff des bisherigen 21. Jahrhunderts nennen müsste, wäre es Graphen — es ist supraleitend, super-stark und super-flexibel. Graphen ist gerade mal ein Atom dick, und hat tausende Anwendungsmöglichkeiten in Dutzenden von Fachgebieten. Graphen in “zusammengerollter” Form bildet Kohlenstoffnanoröhren, die ebenfalls ziemlich fantastische technische Möglichkeiten bieten! Graphen weiss, wo Carmen Sandiego ist und das verschwundene Lindbergh-Baby!! Graphen war maßgeblich an Kanye West’s letzten drei Alben beteiligt, hat dafür gesorgt, dass Wetten, dass…? endlich abgesetzt wurde, macht frischen Atem und volles Haar und schmeckt großartig mit Sauce Béarnaise und frischen Waldpilzen!!!

GRAPHEN HURRA \o/


CRISPR-Gentherapie repariert Gendefekt

Vor wenigen Monaten stellten zwei Wissenschaftlerinnen aus Schweden und den USA ihre revolutionäre Methode namens CRISPR-CAS9 vor, um DNA in einem komplexen Genom akkurat zu bearbeiten. Ich schrieb sehr begeistert darüber in NadZ #8, und betitelte die Meldung “Durchbruch in der Gentechnik”.

Vor knapp zwei Wochen zeigten mir Neuigkeiten vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) dann, dass der Titel gut gewählt war:

Biologen und Genetiker des Institutes haben erwachsene Mäuse von einer seltenen Leberkrankheit geheilt, bei der die Leberzellen unfähig sind, eine Aminosäure namens Tyrosin abzubauen, da sie ein bestimmtes Enzym nicht bilden können. Durch eine auf CRISPR basierende Gentherapie wurde die kranke Leber animiert, fehlerhaftes Erbgut in Zellen durch gesundes zu ersetzen. Nach einer Weile hatte die Leber genug gesunde Zellen gebildet, um wieder ohne Medikamente auszukommen.

Besagte Krankheit tritt aufgrund einer einzelnen genetischen Mutation bei 1 von 100.000 Menschen auf, und führt unbehandelt unweigerlich zu Leberversagen, weshalb Patienten lebenslang auf Medikamente angewiesen sind. Die neue MIT-Studie zeigt, dass das kranke Organ mit einer einzigen Gentherapie-Behandlung nachhaltig kuriert werden kann — bei Mäusen.

Die Forschungsergebnisse sind natürlich nicht so einfach auf Menschen übertragbar, das sagen die Leute vom MIT und ihre Kollegen selbst. Aber sie sind ein extrem ermutigender Schritt in die richtige Richtung: anscheinend sind wir nicht mehr so wahnsinnig weit davon entfernt, genetische Defekte in Menschen beheben zu können.

Was mich daran happy macht

Seit der Veröffentlichung der CRISPR-CAS9-Studie im November 2013 ist weniger als ein halbes Jahr vergangen. Damals hatte ich schon vermutet, dass da einige irre Entwicklungen auf uns zukommen, allerdings hätte ich nicht damit gerechnet, dass es so schnell vorangeht!


Schädeldrucker!

Eine 22-jährige Frau leidet am seltenen van Buchem-Syndrom, einer Krankheit, die ihre Schädeldecke dicker und dicker macht. Statt der bei Erwachsenen üblichen 1.5 cm ist die Decke mittlerweile mehr als 3× so dick, gut 5 cm. In Folge wird ihr Hirn unter immer höheren Druck gesetzt, was zu starken chronischen Kopfschmerzen, schleichender Erblindung und Degeneration ihrer motorischen Fähigkeiten führt. Es ist klar, dass sie sterben wird, sollte das Wachstum des Knochens nicht gestoppt werden.

So geschehen im letzten Jahr in den Niederlanden.

In einer aufsehenerregenden Operation entschieden sich ihre Ärzte am University Medical Center in Utrecht dann zu einem drastischen/mutigen Schritt: sie entfernten die komplette Schädeldecke ihrer Patienten und ersetzten sie mit einem stabilen Kunststoff-Ersatz, der passgenau von einem 3D-Drucker hergestellt wurde. (Nettes Detail: das Teil ist transparent.) Danach wurde der Skalp wieder darübergezogen und befestigt.

In den drei Monaten seit ihrer OP hat sich die junge Frau komplett erholt. Ihre Beschwerden sind verschwunden, sie kann wieder sehen und geht wieder ihrer Arbeit nach. Und laut ihren Ärzten sieht man ihr auch so gut wie nicht an, dass sie eine solche OP hinter sich hat.

Wow. Einfach nur wow. :D

→ Meldung des University Medical Center (UMC) Utrecht: “3D-printed skull implanted in patient”


Lebendige Materialien

Forscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben ein neuartiges Material entwickelt, das Eigenschaften sowohl von organischem als auch anorganischem Leben aufweist. Dazu haben sie E.coli-Bakterien mit Gold-Nanopartikeln und Quantenpunkten “beladen”, um sie zu sog. “lebendigen Materialien” zu machen.

Bakterien organisieren sich selbständig und passen sich an ihre Umwelt an. Nicht-lebende Materialien können andere Sachen wie Strom leiten oder Licht abgeben. Die Kombination davon wären Hybridmaterialien, die z.B. für den Aufbau von komplexen Netzwerke für technische Anwendungen geeignet sind, und sich bei Beschädigungen selbst heilen können. Das wäre u.A. für die Herstellung neuer Biosensoren oder Solarzellen sehr praktisch. Die veränderten E.coli-Bakterien z.B. bildeten einen Biofilm, der mit den anorganischen Komponenten durchsetzt war — was Potential für die Entwicklung von neuen Batterietypen hat.

→ Nachricht bei MIT News: “Engineers design ‘living materials’: Hybrid materials combine bacterial cells with nonliving elements that can conduct electricity or emit light.”


Rückrufaktion: STAP

In Ausgabe #14 berichtete ich begeistert über eine neue Methode, um aus erwachsenen Zellen sog. STAP-Stammzellen herzustellen. Eine Forscherin aus Japan hatte eine Studie veröffentlicht, in der sie darlegte, wie sich besagte Zellen ausserhalb des Körpers innerhalb einer Stunde in pluripotente Stammzellen wandeln, setzt man sie nur Druck oder Stress aus. Die Veröffentlichung hatte mich und viele andere Menschen sehr geflasht, klang sie doch verdammt fantastisch.

Wie sich jetzt leider herauskristallisiert, scheint sie aber auch genau das zu sein: fantastisch, im Jules-Verne-Sinne. Als unabhängige Wissenschaftler das taten, was gute Wissenschaft ausmacht, nämlich die Studie im Labor nachstellen, konnte so gut wie keiner von ihnen die Erkenntnisse der Japaner verifizieren; schlimmer noch, es fanden sich einige Unregelmäßigkeiten, die auf die Manipulation der Daten des Papiers hinweisen.

Tja, doof, es wäre schön gewesen. Auf der anderen Seite freue ich mich natürlich, dass das gute alte Peer-Review noch lebt und funktioniert. Und die Autorin der Studie, die Biologin Haruko Obokata, schwört weiterhin, dass ihre Arbeit eine solide Basis hat, und sie STAP-Zellen produziert hat.

Der Keks ist also noch nicht komplett gegessen, die Untersuchungen des Falles dauern an.


  1. Mehr dazu gibts bei der ZEIT↩︎

  2. Warum “Handheld”, nicht “Smartphone”? Weil ich — ehrlich gesagt — keine handfeste Vermutung habe, was in 10 Jahren den Platz meines iPhones eingenommen haben wird. Wird das Ding noch die gleiche Form haben? Oder werde ich es per Subvokalisierung sprachsteuern? Nutze ich es wie eine Brille, oder über einen projezierten Screen? Usw. ↩︎

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Carlo Zottmann @czottmann