Neues aus der Zukunft #15: Die mit den Leuten ohne Puls, den Hörgeräten und der Kernfusion

Donnerstagmorgen sind dafür da, um sich über die ganz persönliche Energiewende zu freuen, die stattfindet, wenn man sich in die Frühlingssonne stellen und grinsend Energie tanken kann. Eure Aufgabe für heute: vor die Tür gehen und mindestens zwei Minuten lang Sonne hamstern!

Am letzten Wochenende las ich in der Bahn eine für mich neue, aber doch schon zwei Jahre alte Geschichte aus der Herzforschung, die mit einem Kalb beginnt, dem das Herz entfernt wurde, und das davon recht unbeeindruckt war — es lebte weiter. Das musste ich einfach zusammenfassen, und so findet Ihr u.A. diese sehr tolle Story in dieser Ausgabe.

Themenwechsel: Die Tausendermarke ist durchbrochen, w00p! Ich danke Euch für Euer Interesse bisher — auch wenn ich das Gros meiner geschätzten Leserschaft nicht kenne, bedeutet mir das trotzdem sehr viel. Aber jetzt peile ich natürlich die 10.000 an. ;) Aus diesem Grund würde mir natürlich das Herz aufgehen, könntet Ihr die aktuelle Ausgabe oder einen der Artikel oder vielleicht auch einen der Artikel aus dem Archiv weiterempfehlen. Aber wenn nicht, ists selbstverständlich auch kein Beinbruch.

So, und wenn Ihr Fragen, Hinweise auf coole Geschichten & Entwicklungen oder vielleicht Kritik habt, schreibt mir eine Mail, darüber freue ich mich immer.

Bis in zwei Wochen,

—Carlo.


Kernfusion, hurra!

Mit 192 Hochleistungslasern haben US-Forscher erstmalig eine Kernfusion erzeugt, die in sich mehr Energie freigesetzt hat, als ihre Erzeugung verbraucht hat. Fortschritt!

Aber so einfach ist das dann doch nicht. Die reine Energiemenge, die die Laser in Wasserstoffisotope pumpten, um deren Atomkerne zu verschmelzen, war tatsächlich niedriger als die Ausbeute. Und das ist auch ein großer Erfolg! Nur war diese Ausbeute halt dieses mal noch winzig: ~14 Kilojoule. Aber der gesamte Energieverbrauch der kompletten Anlage—mit ihren Lasern, Kondensatoren, Steuereinheiten, Computern etc.—war dabei noch ca. 28.000× größer als das Ergebnis. Anders gesagt: um 1 Energieeinheit zu erzeugen, mussten 28.000 Einheiten investiert werden. Man kann also sagen, dass es noch Optimierungsbedarf gibt.

Davon unberührt: der technische Prozess ist faszinierend. Die 192 Laser werden in eine Goldkapsel gefeuert, in der sich ein sog. Kunststoff-Pellet mit einem Durchmesser von 2 mm befindet. An den Innenwänden dieses Pellets ist der “Treibstoff” hauchdünn aufgetragen: eine Mischung aus Wasserstoffisotopen, Tritium und Deuterium. Wenn das Laserlicht jetzt auf die Goldkapsel trifft, gibt diese heftige Röntgenstrahlung ab, was wiederum das Pellet erhitzt und zur Implosion bringt. Um diesen Effekt zu erzielen, mussten die Laser im Nanosekundenbereich aufeinander abgestimmt werden. Irre.

Bitte nicht daheim nachmachen, Kinder!

Was mich daran happy macht

Kernfusion ist ein relativ alter Traum. Sie hat das Potential zur alternativen Form der Energieerzeugung, ohne CO2-Ausstoß während des Betriebs und weniger strahlendem Abfall als herkömmliche Reaktoren. Fusionsreaktoren liessen sich gefahrlos abschalten, was auch nicht uninteressant ist.

Ich mag neue alternative Energieformen, ich sehe sie als klaren Indikator für technischen Fortschritt. Im Jahr 1914 konnte sich sicher niemand vorstellen, auf Kohle zu verzichten, und die Idee, Atome zu spalten oder zu verdichten, oder auch den Sonnenschein “anzuzapfen”, waren Hirngespinste. Und kaum 100 Jahre später machen wir genau das und noch viel mehr. :)


Leben ohne Puls

Braucht der Mensch seinen Herzschlag? Die Frage klingt abwegig, ist sie interessanterweise aber gar nicht.

Herzunterstützende Systeme gibt es schon seit vielen Jahren. Die vermutlich bekanntesten Geräte dieser Gattung sind Herz-Lungen-Maschinen, aber es gibt auch kleinere Geräte, um dem geschwächten Herz eines Patienten unter die Arme zu greifen. Oft sind das sog. LVAD, “left ventricular assist devices”, Implantate zur Unterstützung der linken Herzkammern, die das mit Sauerstoff angereicherte Blut von der Lunge in den Rest des Körpers pumpen. Das Herz soll dadurch entlastet werden.

Das Problem dabei ist die Mechanik. Ein menschliches Herz schlägt pro Jahr ca. 35 Mio mal — das macht ihm auf Dauer kein mechanischer Ersatz nach. Vor ungefähr 30 Jahren kamen dann einige Mediziner auf die Idee, statt eines pumpenden Aufbaus einen reinen Durchflussmechanismus einzusetzen: das Blut wird durch eine sich kontinuierlich drehende Schraube auf Trab gebracht. Das funktioniert seither recht gut, diese “Triebwerke” sind langlebiger und mechanisch wenig anfällig. Fortschritte wurden gemacht, die Überlebenschancen der auf ein Spenderorgan wartenden Patienten wurden stark erhöht.

Aber die Geräte sind nur als sog. Brückentechnologie gedacht, zur Überbrückung der kurzen Zeit, bis der Patient (hoffentlich) ein Ersatzorgan erhält. Eigentlich. Vor ca. 10 Jahren, im November 2003 aber passierte etwas Heiteres.

Einem jungen Mann aus Zentralamerika wurde in den USA ein LVAD vom Typ Thoratec HeartMate II implantiert. Der Herr sprach nur gebrochen Englisch, seine Familie verstand die Sprache gar nicht. Die Information, dass regelmäßige Nachuntersuchungen wichtig sind, ging daher an ihm vorbei; er verließ nach seiner Operation das Krankenhaus …und kam erstmal nicht zurück.

Erst nach 8 Monaten tauchte er wieder auf, gesund und munter. Er war aufgrund fehlender Probleme mit dem Implantat einfach nicht auf die Idee gekommen, sich regelmäßig untersuchen zu lassen. Als sein Arzt ihn untersuchte, stellte er überrascht fest, dass sein Patient keinen Puls mehr hatte. Weitere Untersuchungen ergaben dann recht schnell, dass das Herz des Mannes die Arbeit eingestellt hatte — sein eigentlich nur zur Unterstützung vorgesehenes Implantat hatte irgendwann in den 8 Monaten einfach komplett übernommen.

Wie sich seitdem in weiteren Studien, Experimenten und im Einsatz zeigte, sind LVADs weitaus hilfreicher, als ihre Erfinder sich vorgestellt haben. In vielen Fällen erholte sich das so unterstützte Herz nach einer Weile, und das LVAD konnte entfernt werden. Und mittlerweile existiert eine kleine Anzahl von Menschen, die komplett ohne Herzschlag herumlaufen.

Und ein Kalb namens Meeko, das ich im Intro dieser Ausgabe erwähnte. :)

In den letzten Jahren sind ca. 16.000 der HeartMate II-Geräte implantiert worden, davon über 1000 in Deutschland, dazu kommen viele Tausend Implantate, die einen anderen Namen tragen. Sicher, die Besitzer würden sich sicher noch mehr über ein gesundes Organ freuen; sie müssten dann nicht ständig ein kleines Batteriepack plus Steuereinheit in der Größe einer Videokassette mit sich herumtragen1, oder auf Infektionen an den Anschlüssen achten etc. — aber ich denke, das ist einem vorzeitigen Ableben vorzuziehen.

Der Vollständigkeit halber sollte ich aber auch erwähnen, dass die HeartMate II-Modelle von Thoratec in den letzten Monaten durch die Presse gegangen sind, weil es seit März 2011 ein höheres Thrombose-Risiko gegenüber den vorhergegangenen Jahren gibt (8,4% vs. 2,2%). Hersteller und unabhängige Institute sind noch auf der Suche nach den Ursachen.

Was mich daran happy macht

Das Hinterfragen von anscheinend klaren Sachverhalten ( “Muss ein Herz wirklich schlagen bzw. rhythmisch pumpen?”) produziert manchmal erstaunliche Ergebnisse, die uns als Spezies weiterbringen können. Menschen ohne Puls wären früher vermutlich gepfählt und mit Knoblauch überhäuft begraben worden, heute ist die Forschung hocherfreut über ihre Existenz. ;)

Ich empfehle denen, die des Englischen mächtig sind, den PopSci-Artikel zu lesen (Link weiter unten). Mächtig informativ & unterhaltsam!


Ein Hörgerät, kleiner als eine Erbse

Stell’ Dir ein Hörgerät vor, ein handelsübliches Hörgerät. Ein Stöpsel im Ohr, ein Batteriepack hinter dem Ohr. Die Batterien müssen ca. alle 2 Wochen aufgeladen werden. Das komplette Gerät kannst Du je nach Frisur gut oder weniger gut verstecken. Siehst Du es vor Dir? Super.

Jetzt stell Dir vor, das Ganze ist nur 4×4×1mm groß und benötigt einen Bruchteil der Energie. 2

Genau das hat das Fraunhofer-Institut in Berlin jetzt vorgestellt. Ihr Projekt, Teil der WiserBAN-Initiative der Europäischen Union, integriert 19 verschiedene Komponenten in einem sog. Mikromodul-Hörgerät. Das Gerät ist 50× kleiner als existierende Modelle und gehört zur Gattung der sog. BAN-Anwendungen ( “Body Area Network”, Körpernetzwerk) — also Elektronik, die für den Einsatz direkt am oder im Körper vorgesehen ist.

Die WiserBAN-Teilnehmer entwickeln diverse Bausteine — Hardware wie z.B. Antennen oder auch Software wie Protokolle für Datenübertragung —, die in unterschiedlichen Systemen zum Einsatz kommen (sollen). Das umfasst sowohl konkrete Hilfen wie solche Hörgeräte als auch Sensormodule, die z.b. Blutzucker und -druck oder Herzschlag messen und drahtlos an den behandelnden Mediziner übermitteln können.

Was mich daran happy macht

Derlei Mikrosysteme finde ich faszinierend, weil ich eine relativ gerade Linie zwischen den Geräten der Vergangenheit, Entwicklungen wie dem des Fraunhofer Instituts und zukünftigen Implantatsystemen erkennen kann. Ein integriertes, im Körper verteiltes Sensornetzwerk, das mir dabei helfen kann, länger fit und unabhängig und gesund zu bleiben? Will ich.


Zu guter Letzt… (Sexy Edition)

Mit Robo-Interface und Oculus Rift zum authentischen Virtual-Reality-Sex — Die Kollegen von Motherboard haben sich mal bei Tenga umgeschaut, einem japanischen Hersteller von Sexspielzeug, der sich gerade mit großem Eifer auf die Kombination von VR und Robotik stürzt, um “die Zukunft der Masturbation” auszuloten. Interessanter Artikel, durchaus heiter, möglicherweise auch etwas befremdlich. :) Über das kurze Video im Artikel könnte ich mich abrollen.

Ein Kondom namens “Elektrischer Aal” — Die Dinger sitzen nie richtig, sind immer zu klein/groß und/oder killen Deinen Sexdrive schneller als Tom Cruise in einer coolen Actionrolle? Hilfe naht. “Firaz Peer und Andrew Quitmeyer haben den Prototyp eines Open-Source-Kondoms entwickelt, dessen Hülle wortwörtlich mit Elektroden verdrahtet und übersät ist, und dabei mit einem Mikrocontroller zur Stromzufuhr verbunden ist. Das Gerät gibt elektrische Impulse entlang des Schaftes ab, um das angenehme Gefühl zu imitieren, welches von traditionellen Kondomen gehemmt wird. Es hört auf den irgendwie furchtbaren und unangenehmen Namen ‘Electric Eel’.” Ich… äh. Hmm. Für die Wissenschaft!


  1. Für unsere jüngeren Leser: stellt Euch einfach 3 iPad mini auf einem Stapel vor. ;) ↩︎

  2. Lt. Fraunhofer-Institut ist das Ziel, den Energieverbrauch des Systems auf ca. ein Milliwatt zu minimieren — sie streben dabei eine Betriebsdauer von bis zu 20 Wochen an. ↩︎

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Carlo Zottmann @czottmann