Neues aus der Zukunft #6

Donnerstagmorgen sind dafür da, um über die großartigen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts das lange Wochende nachzudenken und alle 2 min auf die Uhr zu schauen. Ist es schon Mittagszeit?

Erinnerst Du Dich, wie ich in der letzten Ausgabe sagte, ich müsse das Tempo etwas bremsen? Das meinte ich auch so! Und dann setzte ich mich hin und schrieb begeistert 1100+ Worte zu NewSpace. Und dann noch ein paar mehr zu 3D-Druckern auf der Baustelle und neuen Mikroprozessoren, die mit Licht arbeiten. Aber nächste Woche wirds dann ganz bestimmt etwas kürzer, ganz bestimmt. Hmm. Bestimmt!

Hast Du eine neue Story gesehen, die ich unbedingt anschauen sollte, oder eine Meinung zur aktuellen Ausgabe? Dann schreib mir eine Mail! Ich mag Feedback.

Bis nächste Woche,

—Carlo.

PS: Ich würde mich ehrlich freuen, wenn mehr Menschen meinen kleinen Newsletter hier lesen würden. Wenn Du jemanden kennst, der daran eventuell Interesse haben könnte, erzähl ihm/ihr doch bitte von NadZ oder schick ihm/ihr die aktuelle Ausgabe. Vielen Dank. :)


Was ich meine, wenn ich von “NewSpace” spreche

Was ist “NewSpace”? Ich habe den Begriff schon des Öfteren an dieser Stelle verwendet, wenn ich von neuen Raumfahrt-Unternehmen spreche. Für die Erklärung muss ich aber kurz etwas ausholen.

Der Wettlauf ins All begann, als die Sowjetunion 1957 den ersten künstlichen Satelliten— Sputnik—ins den Weltraum schickten; die USA hatte sich von dem Schock noch nicht komplett erholt, da legte die SU nach und sandte 1961 den Fliegeroffizier Juri Gagarin in den Erdorbit. Selbstverständlich konnten sich die Vereinigten Staaten nicht so einfach die historisch bedeutsame Butter vom Brot der Menschheitsgeschichte nehmen lassen, und so bezwangen sie heroisch das nervöse Zucken in ihren Augen und beendeten 1969 mit der Apollo 11-Mission das Rennen zum Mond (und damit den Wettlauf).

Das war vor gut vier Jahrzehnten; damals gingen viele Menschen davon aus, dass das goldene Zeitalter in der Raumfahrt eingeläutet sei—nächster Halt: Mars! Doch weit gefehlt. Zwar sahen die nächsten drei Jahrzehnte die russische Raumstation Mir, das amerikanische Space Shuttle-Programm und die ISS; aber abgesehen von einer überschaubaren Anzahl von Sonden, die in unserem Auftrag im Sonnensystem unterwegs sind, sind wir doch auf der Erde und im erdnahen Orbit geblieben. Denn die einzigen Spieler auf dem Feld der Raumfahrt, die sich derlei Projekte leisten konnten, waren Regierungen/Staaten, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr bereit waren, die Summen zu investieren, die uns weiter vorangebracht hätten. Dazu kam, dass die meisten wissenschaftlichen Großprojekte länger als eine Legislaturperiode dauern, und mehr als ein Regierungswechsel beendete vielversprechende und bereits laufende Projekte vorzeitig.

Die Jahrtausendwende sah dann eine interessante Entwicklung: die Menschheit hatte sich technologisch endlich so weit entwickelt, dass kommerzielle Raumfahrt-Ansätze in greifbare Nähe rückten. Gleichzeitig wurde klar, dass die staatlichen Agenturen (NASA, Roskosmos, ESA etc.) über die Jahre hinweg lethargisch geworden waren—genau das, was früher für Beständigkeit, Mittel und Möglichkeiten gesorgt hatte, wurde plötzlich zum Bremsklotz; ausufernde Bürokratie, interne Lagerbildung, die Bindung an ihre Staaten und deren wirtschaftliche Situation halfen nicht.

Der freie Markt witterte Morgenluft, und es entstanden einige Firmen, deren Ziel es war (und ist), den Weltraum zu erreichen, auch ohne die Technik der NASA & Co., und das kostengünstiger, effizienter, in schnelleren Entwicklungszyklen.

Aber auch die nichtkommerzielle Weltraumgemeinde bekam endlich die Möglichkeit, in einem vertretbaren finanziellen Rahmen dem Ort ihres Interesses näherzukommen—in Form von selbstentwickelten Raketen, unbemannten Stratosphären-Ballons mit Kameras und Sensoren, etc.—und/oder zielgerichtete Projekte mit Rat, Tat und Crowdfunding zu unterstützen.

All diese Initiativen (mit all ihren unterschiedlichen Zielen) und ihre zugrundeliegende Philosophie sind das, was man in dem Begriff “NewSpace” zusammenfasst. Eine kurze Liste von Beispielen:

  • Space Exploration Technologies Corp. (SpaceX) entwickelt Launch-System und Raumfähren. SpaceX arbeitet an wiederverwendbaren Raketen (siehe NadZ #2, “Wirtschaftlichkeit… IN SPACE”), versorgt die ISS aktiv mit Gütern, und wird bald auch Astronauten zur ISS befördern (im Rahmen eines Vertrages mit der NASA). SpaceX’ erklärtes Ziel ist es, die Besiedlung anderer Planeten zu ermöglichen. Wie drückte es Elon Musk, NewSpace-Pionier und SpaceX-Gründer, so treffend aus? “Ich würde gern auf dem Mars sterben, nur halt nicht beim Aufprall.”

  • Bigelow Aerospace baut aufblasbare Habitatmodule für den Einsatz im Weltraum. Die Module werden platzsparend transportiert, und entfalten sich an ihrem Einsatzort auf ein Vielfaches ihrer Größe. Die ersten Starts fanden 2006 und 2007 statt; Mitte 2015 wird ein solches “Bigelow Expandable Activity Module” (BEAM) an der ISS angedockt und getestet. Die Firma arbeitet an einer privaten Raumstation, deren Module 2016 fertig für ihren Einsatz im Orbit sein soll, und die Bigelow an Firmen, Länder und Privatpersonen vermieten will.

  • Final Frontier Designs hat sich auf die Entwicklung von neuen Raumanzügen spezialisiert, die Astronauten im Schiff bzw. in der Station tragen. FFD hatte 2012 ein erfolgreiches Kickstarter-Projekt am Start, um einen Prototypen fertigstellen zu können. Die Firma ist ein gutes Beispiel für die aufblühende NewSpace-Zulieferindustrie: sie wollen ihre Anzüge für $50.000/Stück verkaufen—die derzeit von der NASA entwickelten und eingesetzten Modelle kosten das Fünffache.

  • Copenhagen Suborbitals erwähnte ich in NadZ #3 schon einmal (“Zu guter Letzt… → Dänemark hat ein Raumfahrtprogramm!”). Die Dänen benutzen handelsübliche Materialien für ihre Raketen und Geräte, und starten von einem schwimmenden Ponton in internationalen Gewässern aus. Sie zeigen gut, wie sehr Technologie zur Demokratisierung der Raumfahrt beiträgt—sie ist nicht mehr zwangsläufig nur das Metier von Staaten und Großkonzernen.

  • Cubesats sind keine Firma, sondern miniaturisierte Satelliten, deren standardisierte Größe zwischen 10×10×10cm und 30×10×10cm liegt. Aufgrund ihrer Größe sind die Geräte nicht so wahnsinnig leistungsfähig, allerdings war die ursprüngliche Grundidee auch, Studenten halbwegs kostengünstig die Möglichkeit zu geben, ihre Experimente ins All zu bringen—Mission erfolgreich erfüllt! Die meisten Cubesats beschränken sich daher auf wissenschaftliche Aufgaben, jedoch gibt es auch kommerzielle Versionen. Sie werden gruppenweise ins All befördert, in den letzten 10 Jahren ist die Zahl der Würfel im aktiven Einsatz auf ca. 80 gewachsen. Die Firma Interorbital Systems hat gerade stolz zwei ausgebuchte Missionen für das Jahr 2014 verkündet: sie werden allein im nächsten Jahr über 60 neue Cubesats ins All transportieren.

  • Planetary Resources’ langfristiges Ziel ist der Erz- und Eisabbau auf/an/in Asteroiden. Derzeit arbeiten die Firma an ihrem ersten ARKYD-Satelliten—einem (auch) durch Crowdfunding finanzierten Weltraumteleskop, das nach dem Launch auch Bildungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden soll. Unter den Beratern und Investoren finden sich bekannte Gesichter wie Larry Page & Eric Schmidt (Google), Sir Richard Branson (Virgin) und James Cameron (Filmemacher).

Nach Jahrzehnten der Stagnation und des Dahinsiechens ist endlich, endlich wieder Bewegung in die Raumfahrt gekommen; meine Liste ist keineswegs umfassend! Es gibt Firmen, die an der Technologie für Weltraumlifte arbeiten (z.B. LiftPort), Firmen, die suborbitalen Tourismus betreiben wollen/werden (z.B. Virgin Galactic) und Firmen, die den Mond als Basis oder Rohstofflieferanten im Visier haben (z.B. Golden Spike Company oder Shackleton Energy Company), und noch einige mehr. Und ja, das Meiste klingt noch nach SciFi, aber viele dieser Projekte sind schon aus der Planungsphase heraus—an ihnen wird aktiv gearbeitet. Werden sie von Erfolg gekrönt sein? Keine Ahnung. :)

Mich stimmt das alles sehr fröhlich. Mal vom Zugang zum All und meiner Begeisterung für Raumfahrt an sich abgesehen: viele große Erfindungen der Neuzeit sind “Abfallprodukte” der Weltraumforschung, darunter kratzfeste Brillengläser, moderne Herzschrittmacher, Satelliten-gestützte Kommunikation und Insulinpumpen. All dieses Zeug kam zu einer Zeit aus den NASA-Laboren, als die meisten Menschen noch in Höhlen wohnten und mit Kohle Bilder an die Decke kratzten (ca. 1965-1985)—dementsprechend freue ich mich auf den heissen Scheiss1, der jetzt gerade in der NewSpace-Bewegung entsteht und noch entstehen wird, und unsere Welt(en) und unseren Alltag verändern werden.

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Häuser aus dem Drucker

Prof. Behrokh Khoshnevis von der University of Southern California entwickelt hausgroße Roboter-Drucker, die nicht Kunststoffe, sondern Beton-Faser-Gemische verwenden, und Schicht für Schicht stabile Wände hochziehen. Sein Team präsentierte schon im letzten Jahr Prototypen, die 2m hohe Wände druckten—gerade und geschwungene.

Laut Khoshnevis könnte mit dieser Technik ein Haus mit einer Grundfläche von ~230m2 in weniger als 24 Stunden fertiggestellt werden. (Sie ist aber noch nicht 100%ig serienreif.) Er gibt als Einsatzgebiete u.A. den sozialen Hausbau an sowie die automatisierte Errichtung von Habitaten auf anderen Planeten. In seiner Präsentation zeigte er Slums und katastrophale Behelfsunterkünfte und wies darauf hin, dass derzeit immer noch über 1 Milliarde Menschen in solch unwürdigen Zuständen leben muss. Mit Hilfe des Contour Crafting, wie er seine Technologie nennt, könnten ausreichend kostengünstige Häuser errichtet werden, und das weitaus schneller und Rohstoff-sparender, als es bisher möglich ist.

Eine deutschsprachige Kurzzusammenfassung gibts bei Wikipedia.

Links zum Thema:


Photonische Prozessoren

Wissenschaftler an der Universität von Colorado, dem MIT und Technology Inc. haben zusammen Chips entwickelt, die auf Silizium basieren, aber photonisch arbeiten, also mit Licht. Ihre Mikroprozessoren nutzen Licht statt elektrischer Ströme, um intern zu kommunizieren, und schliessen dadurch viele Probleme aus, die bei der weiteren Miniaturisierung von Schaltkreisen auftreten. Die elektrischen Leiter fangen irgendwann an, sich gegenseitig negativ zu beeinflussen, wenn sie zu fein werden und zu nah beieinander liegen.

Eine der Besonderheiten der neuentwickelten Technik ist, dass diese Chips mit bereits existierenden Fertigungssystemen hergestellt werden können; eine andere, dass sie energiesparender arbeiten als ihre rein elektronischen Vorgänger. Die Forscher hoffen, dass ihre neue Technik innerhalb von 5 Jahren marktreif ist.

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  1. Der Begriff wurde von den Moderatoren auf Radio Fritz benutzt, ist also m.E. journalistisch wertvoll. ↩︎

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Carlo Zottmann @czottmann