Neues aus der Zukunft #1

Hi, ich bin Carlo Zottmann, und ich werde 140 Jahre alt, mindestens. Das heisst, ich habe noch 100 Jahre vor mir, hoffentlich mehr.

Wenn ich diese Vermutung und Hoffnung äussere, schlagen mir meistens Heiterkeit und Unverständnis entgegen. “Opa Erwin ist 72 Jahre alt und kann kaum noch kriechen, und Tante Emmi ist 81 und seit 5 Jahren dement, und wovon soll ich leben, wenn ich ab Mitte 60 keine Arbeit mehr habe, etc. Warum würdest Du das wollen? Du bist ja verrückt, Carlo.”

Bin ich das? Ich sage ja nicht, dass ich ab dem 70. Lebensjahr pflegebedürftig sein möchte. Ich gehe davon aus, dass wir fitter und gesünder altern werde als vorherige Generationen. Die Chancen dafür stehen ausgezeichnet, wenn man sich die Entwicklungen in der Biotechnologie, in Genetik und Langlebigkeitsforschung anschaut.

“Ja, aber die Menschheit kämpft jetzt schon ums Überleben, in 50-100 Jahren wird das alles noch viel furchtbarer sein, warum willst Du Dir das antun?” Weil ich die Forschung und Erfolge in grüner Energietechnik, in Robotik, in künstlicher Intelligenz, in kommerzieller Raumfahrt usw. beobachte, und mich das alles sehr, sehr hoffnungsvoll stimmt. Die Erde wird überleben, wir werden nicht ewig nur hier leben, und das würde ich gern noch miterleben. Du nicht?

Vor ein paar Monaten dämmerte es mir dann: es gibt unglaublich viele gute Nachrichten, von denen allerdings kaum jemand etwas erfährt. Unsere Nachrichten berichten nur von Problemen, Katastrophen, Mord, Krieg und der Bundestagswahl, und wenn das alles ist, das man aufnimmt, wird das eigene Weltbild u.U. negativ verzerrt. Aber die (für mich) wichtigeren, interessanteren, zukunftsbejahenderen Themen, die optimistisch stimmen, die muss man mit der Lupe suchen, und das ist tragisch.

Ich denke, ich freue mich mehr als viele Andere auf die Zukunft, weil ich mehrere Forschungsrichtungen im Auge behalte, und deren Erfolge nicht separat, sondern als Gesamtbild betrachte. Wir leben in einer Zeit, in der wir funktionierende Mäuseherzen im Labor züchten; in der selbstfahrende Automobile keine SciFi mehr sind; in der eine die größten Techfirmen der Welt den Kampf gegen das Altern aufnimmt; in der hochentwickelte Arm-Prothesen für verwundete Veteranen mit nahezu voller Beweglichkeit existieren; in der einer der größten lebenden Erfinder/Macher den Mars als Lebensraum anvisiert, ohne dafür von aller Welt ausgelacht zu werden. Vor 20 Jahren war das alles noch undenkbar, vor 10 Jahren war lag es noch “in weiter Ferne”, und heute? Heute frage ich mich, wie die Welt 2023 oder 2033 aussehen wird.

Die These des Accelerating Change, des sich beschleunigenden Wandels: in meinen Augen ist sie korrekt. Das Tempo der technischen Entwicklung ist keine gerade Linie, es ist eine steiler werdende Kurve. Die berühmte Katze ist nicht nur aus dem Sack, nein, sie hat mittlerweile auch mehrere extrem süße Babies bekommen.

Ich will meinen Optimismus teilen, und werde in Neues aus der Zukunft jede Woche 4-5 Projekte vorstellen, die in den letzten Tagen meine Aufmerksamkeit erregt und mich aufgebaut haben. Ich will verständlich schreiben, und nicht zu technisch werden. Und ich hoffe, ich kann damit Deine Neugier wecken und auch Deine Laune verbessern.

Bleib optimistisch—es gibt gute Gründe dafür. Und wenn Dir diese Ausgabe gefällt, empfiehl sie bitte weiter!

—Carlo.

PS: Bei Fragen/Vorschlägen/Beschwerden schreib mir eine Mail an carlo@neues-aus-der-zukunft.de! Ich bin kein Wissenschaftler, nur ein interessierter Amateur, und auch wenn ich alle Zusammenfassungen nach bestem Wissen und Gewissen schreibe, so können sich doch Fehler einschleichen. Wenn ich groben Unfug verzapft habe, lass es mich bitte wissen. :)


Da ist Musike drin

Ein Forscherteam der Harvard University in Cambridge (Mass., USA) hat ein biokompatibles, leitfähiges Material entwickelt, das ionische Ladungen transportiert. Die angelegten Spannungen werden also nicht von Elektronen übertragen, wie man es z.B. von Küchenmixern, iPads und Flugzeugträgern kennt, sondern von Ionen, wie es im menschlichen Körper geschieht. Das Material ist darüber hinaus auch noch weit dehnbar, ohne seinen Widerstand zu vergrößern, was beim möglichen Einsatz in Form von künstlichen Muskeln oder Haut sehr praktisch ist. Die Wissenschaftler haben hier klar sog. “soft machines” im Auge: biologische Systeme, wie sie in der Natur vorkommen.

Um die Eigenschaften ihres neuen Materials zu demonstrieren, hat das Team als Konzeptstudie einen ionischen, transparenten Stretch-Lautsprecher entwickelt. Mit seinem interessanten Sandwichaufbau (eine Schicht Salzwassergel, eine Schicht Gummi, eine Schicht Salzwassergel) kann er Sounds im Frequenzbereich zwischen 20Hz und 20kHz wiedergeben. Dieser Lautsprecher ist aber tatsächlich nur ein Vorführprodukt, das dazu dient, den entwickelten ionischen Leiter mit seinen herausragenden Fähigkeiten zu demonstrieren. Weitere Einsatzfelder sehen die Forscher u.A. in adaptiven optischen Systeme oder auch der Robotik.

Ich persönlich freue mich auf künstliche Muskelstränge, mit denen ich subdermal meine Umwelt mit Dubstep erfreuen kann.

Quelle: Harvard.edu.


Stammzellen-Forschung: Jetzt mit weniger Petrischalen

Amerikanische Wissenschaftler haben… halt, nein, diesmal nicht. Ein Team vom Nationalen Krebsforschungszentrum (CNIO) in Madrid, Spanien, hat embryonale Stammzellen erzeugt—aus normalen Zellen eines erwachsenen Organismus (Maus), direkt im Körper, ohne Umwege über Petrischalen.

Embryonale Stammzellen sind einer der Hauptpfeiler der regenerativen Medizin, da sie “Urzellen” darstellen, die vom Körper noch nicht spezialisiert worden sind. Aus ihnen können jedwede Zelltypen eines erwachsenen Organismus entstehen, um dann z.B. Autoimmunkrankheiten zu bekämpfen, beschädigte Zellen zu zu reparieren, oder neue Organe zu bilden. Allerdings ist die Gewinnung dieser Stammzellen ethisch nicht unproblematisch. Seit 1981 kam hier die sog. “destruktive Embryonenforschung” zum Einsatz (ist genau das, wonach es klingt, oiy). Im Jahr 2006 entwickelten japanische Forscher dann die künstliche Reprogrammierung von Körperzellen erwachsener Menschen ausserhalb des Körpers, wofür sie 2012 auch den Nobelpreis für Medizin bekamen. Der Prozess ist allerdings langwierig (erwachsene Zellen werden entnommen und im Labor bearbeitet, was ca. einen Monat in Anspruch nimmt) und nur ca. 1% der behandelten Zellen werden dabei erfolgreich in Stammzellen umgewandelt.

Die CNIO-Studie setzt auf dieser künstlichen Reprogrammierung auf, geht aber noch einen großen Schritt weiter, da die Gewinnung/Umwandlung der Originalzellen komplett im Körper durchgeführt wird, und die gewonnenen Stammzellen vielfältiger einsetzbar sind.

Die spanischen Forscher denken als Ziel u.A. an lokale regenerative Behandlungen, bei denen die Zell-Regeneration direkt an den verletzten Stellen veranlasst wird. “Im nächsten Schritt untersuchen wir, ob diese neuen Stammzellen imstande sind, effizient unterschiedlichen Gewebetypen zu generieren, wie z.B. Bauchspeicheldrüse, Leber oder Niere.”, sagte María Abad, eine der an der Studie beteiligten Wissenschaftler.

Bei aller wissenschaftlichen Euphorie gibt das Team aber zu bedenken, dass praktische Anwendungen an menschlichen Patienten noch in weiter Ferne liegen. Allerdings habe ich persönlich das Gefühl, dass der Begriff “in weiter Ferne von Jahr zu Jahr einen kürzeren Zeitabstand umfasst. (Ich heisse das gut.)

Oh, und während ich mich noch über den CNIO-Durchbruch freute, kam aus Israel die Nachricht, dass ein Forscherteam vom Weizmann Institute of Science die ursprüngliche Reprogrammierung verbessert hat: durch die Entfernung eines Proteins konnten sie den Prozess von 4 Wochen auf 8 Tage beschleunigen, und die Erfolgsrate von 1% auf ca. 100% erhöhen.

Bonus-Link: ein kurzes (englisch-sprachiges) Video, das die bahnbrechende CNIO-Studie erklärt.

Quelle: Spanish National Cancer Research Centre (CNIO), via ScienceDaily.


Eine gute Zeit für Mäuseherzen

Aus der Rubrik “Wir werden alle mindestens 200 Jahre alt”:

Mitte August diesen Jahres haben Wissenschaftler der University of Pittsburgh School of Medicine ein funktionierendes Mäuseherz aus menschlichen Precursor-Zellen gezüchtet. Das Experiment ist ein erster Schritt dahin, funktionierende Herzen aus induzierten pluripotenten Stammzellen herzustellen—für Transplationen, als Testobjekt für Medikamente und für die Herzforschung.

Als Ausgangspunkt für ihr Projekt diente dem Team ein Mäuseherz, dem alle Zellen entfernt wurden. Zurück blieb ein “Gerüst”, also die leere Grundstruktur des Herzens. Dieses Gerüst wurde mit sog. multipotent cardiovascular progenitor (MCP)-Zellen bevölkert, die zuvor aus menschlichen Hautzellen gewonnen wurden.

Nach einigen Wochen hatte sich das kleine Herz nicht nur aus diesen Zellen regeneriert, es begann auch mit 40-50 Schlägen pro Minute selbständig zu pumpen.

Bevor jetzt die Korken knallen, weil wir nun neue Herzen bei Bedarf im Labor züchten können: Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass mehr Arbeit und Forschung nötig ist, um das Herz komplett nachzubilden—um es stark genug zu machen, um zuverlässig Blut pumpen zu können, und um sicherzustellen, dass es korrekt auf die elektrischen Signale des Körpers reagiert.

Eins der nächsten Forschungsziele des Teams ist, eventuell auf einem ähnlichen Wege menschliche Herzmuskel herzustellen, um beschädigte Organe reparieren zu können.

Quelle: upmc.com, via ScienceDaily.


Ich druck' mir eine Raumstation

NASA’s Institute for Advanced Concepts hat einen mit 500.000 USD dotierten sog. Phase II-Vertrag an die Firma Tethers Unlimited für ihr Spiderfab-System vergeben— einen 3D-Drucker für orbitale Konstruktionen.

Spiderfab ist eine Mischung aus herkömmlichem 3D-Drucker und Roboter-gestützter Montage. Der Gedanke dahinter: Rohmaterialien in Block- oder Rollenform ins All zu befördern, wo sie dann automatisiert in größere und kleinere Strukturen “gedruckt” werden. Dies wäre logistisch einfacher, als diese Konstrukte auf der Erde zu bauen, zu zerlegen, transportsicher zu verpacken und ins All zu schicken, nur um sie dort wieder zusammenzusetzen. Schliesslich macht es Sinn, Komponenten für den Einsatz in der Schwerelosigkeit—wie Antennen, Träger, Solarpanelstrukturen, etc.—direkt im Orbit herzustellen, anstatt sie wie bisher für Montage, Lagerung, Demontage und Transport für mindestens 1G auslegen zu müssen. Die Spiderfab-Technologie könnte dementsprechend vor Ort auch Konstruktionen wie z.B. Antennenreflektoren oder Solarpanele ermöglichen, die 10- bis 100-mal so groß sind wie die bisherigen Versionen.

Parallel zum NIAC-Vertrag entwickelt Tethers Unlimited ebenfalls für die NASA ein Gerät namens “Trusselator”, das Trägerstrukturen fabrizieren soll, die im Orbit zu großen Solar-Arrays zusammengesetzt werden. Dies soll als Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen dienen.

Ich finde es toll, wenn Meldungen wie diese zwar noch nach Science Fiction klingen, es aber nicht mehr sind. Vor 10 Jahren war der Zugang zum Weltraum noch Staaten vorenthalten, nicht kommerziell arbeitenden Firmen. Ich bin gespannt, wie weit wir dann 2023 dank NewSpace-Pionieren wie Tethers Unlimited, SpaceX oder Bigelow Aerospace sind… \o/

Quelle: Tethers Unlimited, via Moonandback.


Der Krieg gegen das Altern hat wahrhaftig begonnen

Google-Vater Larry Page hat vor wenigen Tagen die Gründung einer neue Firma namens “Calico” angekündigt, deren erklärtes Ziel es ist, das menschliche Leben zu verlängern, zu verbessern und die Geheimnisse des Alterns zu entschlüsseln (und ihnen effektiv zu begegnen). Ich will nicht lügen: die Nachricht hat mir Gänsehaut gemacht—aber die gute Art.

Man mag von Google halten, was man will; ich weiss, wie viele meiner Mitbürger reagieren, wenn der Name “Google” fällt. ;) Aber ignorieren wir für einen Moment mal die endlosen Diskussionen um Cookies, Gmail, NSA und Streetview—ich denke, jeder wird zugeben, dass die Firma ungeschlagen darin ist, unfassbar große Datenmengen umfassend, clever und oft in überraschender Weise auszuwerten. Einige der klügsten Köpfe unserer Generationen sind dort beschäftigt; ich sage: lasst sie forschen, auswerten und an den Geheimnissen des menschlichen Körpers arbeiten! Wir können dabei nur gewinnen.

“Aber warum Google, machen die nicht nur Werbeanzeigen und Email und so?” Der Konzern macht damit das Gros seiner Einnahmen, ja, aber seit ein paar Jahren stürzt er sich auch mit großer Energie und oft ebensogroßen Erfolgen auf Bereiche, die nicht soviel mit Ads und Websuche zu tun haben: er entwickelt selbstfahrende Automobile oder auch Ballon-basierte Internetknoten für abgelegene Orte auf der Welt. Und ja: sicher wird Google damit auch irgendwann Geld verdienen wollen, aber damit kann ich sehr leben. Sie sind auf ein langes Spiel eingestellt, und akzeptieren, dass die ersten paar Jahre ein Verlustgeschäft sein werden; der Rest von uns bekommt neue Technologien, die großes Potential zur Disruption haben.

Zurück zu Calico. Der Traum, älter zu werden als frühere Generationen, er ist so alt wie die Menschheit selbst. Es gibt viele Firmen und Stiftungen, die sich seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigen, aktiv Forschung betreiben und auch finanzieren. Calico ist also nicht der erste Player in diesem Bereich, wohl aber die erste mit einem derartig starken finanziellen Hintergrund—Google hat mehr Geld als Gott.

Dementsprechend groß war die Freude nicht nur bei mir, sondern auch bei bekannten Vertretern der Alterungsforschung: Dr. Aubrey de Grey, biomedizinischer Gerontologe und Chief Science Officer der SENS Foundation, stellte umgehend fest “Der Krieg gegen das Altern hat wahrhaftig begonnen”.

Huzzah!

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